Samstag, 22. Mai 2010

Wahlprognose zu den Kommunalwahlen

Nicht, dass ich mir wissenschaftlichen Sachverstand zuvertrauen wuerde, aber tippen macht halt Spass und wenn man sich die Artikel im Spiegel und in der FAZ anschaut - so viel angelesenes Wissen bringe ich dann doch noch mit, um da zu konkurrieren.
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Die Lage
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Alle Experten sind sich einig, dass die Wahlen von zwei grossen Variablen entschieden wird, der "Nordwelle" und der "Roh-Welle", die erstere eher gut fuer die Regierungsparteien, die zweitere deutlich negativ. Zudem ist eine weitere Unbekannte der Erfolg der sogenannten "Jeongkwonsimpannon", also ob es eine Denkzettelwahl fuer die Regierung wird.
Ich glaube es wird einen leichten Denkzettel geben, die beiden Wellen werden sich aber landesweit gesehen meiner Meinung nach eher ausgleichen. Schlussendlich wirkt sich die Nordwelle nicht so stark aus, ist aber bedeutend groesser. Die Roh-Welle ist schlicht ein sehr begrenztes Phaenomen einer bestimmten Bevoelkerungsschicht, die ohnehin sehr stramm links ist. Das einzige, was die Roh-Welle veraendern duerfte, ist die Wahlbteiligung, da viele der "fauleren" Waehler erinnert werden, dass es einen gemeinsamen Feind gibt.
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Beide Effekte duerften ihren Hoehepunkt zudem bis zum Wahltag ueberschritten haben, egal, was beide Lager tun, um sie am koecheln zu lassen. Insbesondere die Roh-Welle duerfte kaum deutlich ueber den heutigen ersten Todestag hinausgehen, auch wenn die Hankyoreh es sichtbar versucht mit Schlagzeilen wie "heute war der Regen gelb" und inflationaeren Zahlen zu den Trauergaesten. Polizei und verschiedene Beobachter gingen von 10.000-15.000 Teilnehmern am Gedenkkonzert im Seouler Zentrum aus, in der Hankyoreh steht was von 50.000 und in der Chosun Ilbo steht - nichts. So viel mal wieder zur Presselandschaft in Korea.
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Wahlkampf
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Was wir im Wahlkampf sehen, ist eine ziemlich klare Lagerbildung, die dementsprechend auch ihre eigenen Themen pflegen. Was mich auf beiden Seiten anwidert ist dieser Wahlkampf mit Toten. Die Konservativen stilisieren die Toten der Cheonan zu Volkshelden hoch, die sich dem boesen Norden in den Weg gestellt haben. Dabei waren sie einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort. Auf der anderen Seite grinst einem in jeder linken Wahlwerbung das Gesicht von Roh Moo-hyun entgegen, oft noch garniert mit Kim Dae-jung. Die Kandidaten besuchen Gedenkausstellungen, pilgern zu Wohn-, Geburts- und Sterbeorten Rohs und die Wahlslogans koennen kaum noch unpolitischer werden: "Wenn der Wind weht, weiss ich, dass du gelacht hast". Bisher konnte mir noch niemand in Diskussion erklaeren, was diese neue politische Stroemung auf Basis von Rohs sogenannter Philosophie genau sein soll. Eine "menschliche" Welt wollen die Leute, mehr "Ruecksicht" aufeinander. Ah ja, wie genau jetzt? Warum sollten es die Nachmacher eigentlich besser hinbekommen als das Original?
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Voellig kritisieren moechte ich aber den Wahlkampf nicht. Gerade die TV-Debatten zeichnen sich teils durch hohe Sachkenntnis und echte inhaltliche Diskussionen auf beiden Seiten aus. Was mich doch eher ueberrascht hat. Sicher, die Zahl der oekologisch-einwandfreien Beilagen bei der Schulspeisung oder die genaue Kilometerzahl einer Verbindungstrasse der Pendlerbahn zwischen Seoul und Gyeonggi, das reisst nicht vom Hocker, aber es ist zumindest ein sehr positiver Trend in einem politischen Umfeld, in dem eine inhaltliche Auseinandersetzung um Positionen noch immer nicht selbstverstaendlich ist.
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Schlimmer als je zuvor ist aber der Strassenwahlkampf. Also genau kann ich es nicht sagen, da es meine ersten Kommunalwahlen in Korea sind und ich mal stark vermute, dass es vor 4 Jahren nicht bedeutend anders gewesen sein duerfte. Waehrend bei den Praesidentschaftswahlen Plakate nur an vorgefertigten Waenden angebracht werden durften und sich auch der Einsatz von Lautsprecherwagen in Grenzen hielt, wird heute aus allen Rohren geschossen: Ganze Gebaeude sind mit Grossflaechenplakaten verhaengt, Lautsprechermusik verschiedener Parteien ueberlagert sich, wohin man geht, liegen die Visitenkarten der Kandidaten auf der Strasse. Ist aber auch kein Wunder: Es wird ja wirklich alles auf einmal gewaehlt. Konkret waehlt man in Gongdeok den Seouler Buergermeister, den Abgeordneten der Seouler Stadtversammlung fuer Gongdeok, die dazugehoerige Parteiliste fuer die Stadtversammlung, den Bezirksbuergermeister und die Abgeordneten der Bezirksparlamente sowie ebenfalls die Liste und zusaetzlich dann noch den Bildungsdezernenten Seouls und die Bildungsbeiraete. Uff. 8 Stimmen fuer jeden, allein in Gongdeok ueber 40 Kandidaten. Ohne Parteilogos oder zumindest heuristische Farbgebung der Plakate wuerde man komplett den Ueberblick verlieren. Allein an meiner Kreuzung haengen inzwischen gezaehlte 19 Plakatbaender (vergleichbar am ehesten mit den deutschen Grossflaechenplakatwaenden). Ein bunter Reigen aus hellblau, dunkelblau, rot, gelb und gruen.
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Das Volk scheint es bisher alles eher weniger zu interessieren. Die Stimmung ist erstaunlich stabil in letzter Zeit. Der Grossteil der Bevoelkerung sieht, dass Lee inzwischen ein bisschen auf Volkes Stimme Ruecksicht nimmt und vor allem die Wirtschaft wieder in den Griff bekommen hat. Bei dem, was ich immer die "Seouler Mittelschicht" nenne und den Intellektuellen sowie einigen meist uninformierten (oder ueberinformierten) Juengeren bleibt Lee Hassobjekt Nummer 1. Perfekte Voraussetzungen fuer ein spannendes Rennen, zumal die ersten Befuerchtungen bezueglich des linken Lagers - naemlich Zersplitterung - nicht in dem Mass manifestiert haben, wie man das vor dem Wahlkampfbeginn noch befuerchten musste.
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Fuer eine Partei, die landesweit in Umfragen zwischen 2 und 5% erreicht (die Roh-Sympathisanten von der "Buergerbeteiligungspartei), haben sich ziemlich viele Kandidaten gegen Konkurrenten von der eigentlichen Oppositionspartei DP durchgesetzt. Ob das auf Dauer gut geht, wird man sehen, aber um eventuelle Effekte einer "Roh-Welle" abzugreifen war es sicher nicht die schlechteste Idee, zumal die DP wirklich in der Breite nicht viel zu bieten hat und auf die prominenten Gesichter der Buergerbeteiliger zurueckgreifen auch aus diesem Grund in den hochpersonalisierten Wahlkaempfen um die Provinzgouverneursposten ein schlauer Schachzug ist.
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Prognosen
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Wie siehts also aus? Meine Prognose ist nicht mathematisch, sondern beruht rein auf Bauchgefuehl. Damit habe ich bei der Praesidentschaftswahl recht weit daneben gelegen, bei der Parlamentswahl war ich schon besser, also probieren wir jetzt mal die Genauigkeit durch Schwammigkeit in der Prognose zu verbessern.
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Seoul: Oh Se-hoon (GNP) bleibt Buergermeister. Meiner Meinung nach recht klar mit 10-15% Vorsprung. Han Myung-sook ist beliebt, keine Frage, aber so richtig zieht sie im Wahlkampf nicht und Oh hat nun einmal wirklich ein paar Erfolge vorzuweisen, die beim Waehler ankommen. In den Bezirken wird die GNP jedoch ziemliche Verluste hinnehmen muessen, was auch kein Wunder ist, nachdem man letztes Mal alle (!) Bezirke gewonnen hat und auch fast alle (!) Sitze in der Stadtversammlung. Seoul war in den letzten 4 Jahren eine Einparteienstadt. Die DP wird zumindest in einigen Bezirken im Norden und Suedwesten zurueckkommen koennen, auch wenn die GNP die Mehrheit der Rathaeuser behaupten wird.
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Incheon: Ganz schwieriges Pflaster. Buergermeister Ahn Sang-soo ist eigentlich beliebt, aber sein Herausforderer von der DP hat extrem aufgeholt. Ich sehe es durchaus als moeglich an, dass Incheon von der DP erobert wird, wenn auch extrem knapp. Hier wird es wirklich auf die genauen Auswirkungen der einzelnen Faktoren (Wahlbeteiligung, Nordkorea, Roh, Regierungsdenkzettel) ankommen. Da Incheon mehr Probleme hat und Ahn nicht so charismatisch wie Oh duerfte es Probleme geben.
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Gyeonggi: Kim Mun-su ist nicht gerade ein Charismatiker, aber er hat das ehemalige Anhaengsel von Seoul richtig gut entwickelt. Erfolgreich, sehr erfolgreich. Gegen ihn tritt Rhyu Si-min an, einer der Chefideologen von den Roh-Anhaengern. Meiner Meinung nach eine voellige Fehlbesetzung und schon als Gesundheitsminister unter Roh eher durch Inkompetenz aufgefallen, aber nichtsdestotrotz fuer seine Ehrlichkeit und Offenheit in den Aussagen beliebt. Er koennte es knapp machen, wenn alles fuer ihn laeuft, aber ich glaube trotzdem dass Kim das Rennen macht. Am Ende vielleicht sogar recht deutlich.
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Gangwon: Auch Gangwon koennte knapp werden, strukturell ist hier die GNP aber klar im Vorteil. Ich denke die GNP kann das Provinzgouverneurenamt und die meisten Kreise halten.
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Gyeongnam: Eigentlich eine traditionelle Hochburg der GNP, aber hier koennte sich meiner Meinung nach die Roh-Welle zeigen, da sie hier besonders hoch ausschlaegt. Schon bei den Nachwahlen zum Parlament letztes Jahr hat sich gezeigt, dass es hier zu Probleme kommen kann. Waere eine faustdicke Ueberraschung auf allen Kanaelen, wenn die Opposition hier gewinnen wuerde, mich aber wuerde es nicht so ueberraschen.
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Jeonnam, Jeonbuk, Gwangju: Muss man ja nicht drueber reden. Die Hannara braucht eigentlich nicht antreten.
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Busan, Gyeongbuk, Ulsan, Daegu: Gleiches Spiel andersrum. Sehe fuer die Opposition nur in Busan einigermassen Chancen zumindest ein paar Bezirke zu gewinnen.
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Jeju: Jeju waehlt immer irgendwie anders. Die GNP hat ihren Kandidaten hier aus der Partei rausgeschmissen und steht jetzt ohne da. Er tritt trotzdem an, hat laut Umfragen gute Chancen als Unabhaengiger gewaehlt zu werden, was sogar ein Zugewinn fuer die GNP waere, da man diese Provinz bei den letzten Wahlen nicht erobert hatte. Glaube trotzdem an einen Sieg der Opposition hier, auch wenn man auf Jeju beobachten kann, was passiert, wenn die Linke nicht geeint ist: Der offizielle DP-Kandidat liegt bei etwa 20%, der inoffizielle, der als Unabhaengiger verkleidet antritt bei knapp 30% - zusammen waer die Wahl fast gelaufen, so wird es noch mal spannend.
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Chungbuk: Sah lange Zeit trotz Sejong-Problemen und 4-Fluesse-Projekt ganz gut aus fuer die GNP, in letzter Zeit scheint es aber knapper zu werden. Zudem konzentrieren sich alle Bemuehungen der GNP auf die Hauptstadtregion, weshalb man hier so ziemlich auf weiter Flur allein ist. Sehe Vorteile fuer die GNP, bei einem spuerbaren Swing landesweit duerfte es hier aber auch zuende sein mit der GNP-Vorherrschaft. Einige Kreise wird man aber auf jeden Fall halten koennen.
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Chungnam: Da wird es ganz lustig. Die GNP hat hier so gut wie keine Chance, die Sejong-Problematik hat ihr hier voellig das Genick gebrochen. Stattdessen konkurrieren LFP und DP gegeneinander mit derzeit einigen Vorteilen fuer die DP. Allerdings kann ich mir vorstellen, dass das eigentlich doch strukturell konservative Chungnam durchaus hinter dem LFP-Kandidaten zusammenkommt, zumal die LFP ihre Wahlkampfbemuehungen ganz auf diese Region konzentriert. Fuer beide, DP und LFP waere dies ein symbolisch sehr bedeutender Sieg.
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Zusammenfassung:
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Fuer die GNP kommt es ganz einfach darauf an, ob man die wichtigen Posten in der Hauptstadtregion verteidigt, fuer die DP darauf, ob man sie erobert. Meiner Meinung nach wird es bei den Wahlen zu einem eher unklaren Gesamtbild kommen.
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Die GNP wird von ihrem absoluten Traumergebnis (12 von 16 Provinzgouverneuren, Mehrheiten in 13 von 16 Provinzversammlungen) einiges einbuessen. Insbesondere Chungnam, Chungbuk, Daejeon, Incheon und Gyeongnam sehe ich als gefaehrdet an.
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Fuer die DP wird es darauf ankommen, wie weit man wieder Boden gut machen kann. Wenn man auch nur einen Posten in der Hauptstadtregion zurueckerobert, wird man das als Erfolg verbuchen koennen. Zudem koennten Zugewinne in den Chungcheong-Provinzen sowie eventuell in Gyeongnam als grosser Erfolg gewertet werden.
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Meinen Prognosen zufolge wird am Wahlabend jeder etwas zum Freuen haben: die LFP in Chungnam, die GNP in Seoul, Gyeonggi und Gangwon und die DP im Rest des Landes.
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Und dann bleibt doch alles mehr oder weniger beim Alten, weil die Provinzen ja kaum Macht haben in Korea und allenfalls zur innerparteilichen Profilierung benutzt werden.
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