Mittwoch, 28. Juli 2010

Die Nachwahlen vom 28. Juli

Heute haben in insgesamt 8 Wahlkreisen in Korea Nachwahlen zum Parlament stattgefunden. Nachwahlen finden immer statt, wenn ein Amtsinhaber seinen Sitz wegen einer rechtskräftigen Verurteilung über einer gewissen Grenze verliert, zurücktritt oder stirbt.
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Die Ausgangslage
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Besonderes Augenmerk richtete sich auf diese Wahl, da es in nur einem Wahlkreis eine Mandatsaberkennung gegeben hatte (Seoul, Eunpyeong II), in allen anderen waren die meist linken Kandidaten von ihren Parlamentsmandaten zurückgetreten, weil sie im Zuge des Siegs bei den Kommunalwahlen von 2. Juli ein Amt auf Provinzebene übernommen hatten.
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Dementsprechend war die Ausgangssituation eigentlich recht eindeutig: 8 Wahlkreise, davon 7 ursprünglich von der linken Opposition gehaltene, zumal Sitze, die selbst bei den letzten Parlamentswahlen, die in einer herben Niederlage für die Linken geendet hatten, trotzdem an die DP und andere linke Oppositionsparteien gegangen waren. Nicht zuletzt Sitze mit – wie am 2. Juli bewiesen – populären linken Amtsinhabern.

Die Regierungspartei musste sich in zwei Sitzen in der Chungcheong-Provinz bewähren, wo sie im aktuellen Parlament mit nur einem einzigen Abgeordneten vertreten ist und bei den Kommunalwahlen vor zwei Monaten teils heftige Niederlagen einstecken musste. Ebenso die drei Sitze in Gangwon-do. Hier gab es zudem die Kritik, dass der frischgewählte Provinzgouverneur von der DP gleich von der Staatsanwaltschaft wegen Verstößen gegen das Wahlgesetz verhört wurde. Viele in der Provinz sehen das als politisch motiviert. Ob politisch motiviert oder nicht – die Stimmung war auch in Gangwon-do nicht positiv. Dann gab es noch einen Kreis in Incheon, auch Incheon wurde bei den Kommunalwahlen verloren und war ein sicherer Sitz der DP. Und dann noch Seoul Eunpyeong. Die Seouler Ergebnisse bei den Kommunalwahlen waren teils heftige Schlappen, Lee Jae-oh, der GNP-Kandidat dies mal, hatte bei den Parlamentswahlen zudem in bester Stimmung für die GNP gegen den vereinten Kandidaten der Opposition verloren. Ein schlechtes Omen allemal.
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Hinzu kam, dass die Regierungspartei GNP trotz Führungswechsel in üble Skandale verwickelt war. So gab es Vorwürfe das Ministerpräsidentenbüro habe Zivilisten überwacht, in einem Fall ist dies inzwischen als Quasi-Wahrheit festgestellt, auch wenn es nicht direkt mit der GNP zu tun hat. Ein GNP-Abgeordnete hat zudem in mehreren Fällen sexistische Kommentare über Frauen abgegeben; nicht das erste mal in einer ohnehin notorisch als Machopartei bekannten GNP, die sich bemüht auch mehr bei Frauen anzukommen. So jedenfalls nicht.

Nicht zuletzt hatte die Opposition auch ihr Geheimrezept vom letzten Mal wieder in vielen Kreisen erfolgreich angewandt: Geschlossene Opposition mit einem Kandidaten gegen das Regierungslager gewinnt, so die einfache Rechnung, die ich bereits im Ausgang der letzten Kommunalwahlen für nur bedingt richtig gehalten habe.
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Aber dann war da ja sogar noch die Wahlbeteiligung. Auch hier machten Medien und Opposition, ja sogar die Regierungspartei alle die gleiche Milchmädchenrechnung auf. Dass ebenso wie beim letzten Mal die jungen Wähler an die Urnen gegangen seien und es deshalb deutlich sei, dass die DP hier einen Vorteil haben werde.
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Der Wahlabend
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Dann wurde es 20 Uhr, die Wahllokale schließen und kurz vor 9 trafen die ersten Auszählungsergebnisse ein. Ungläubiges Staunen, stotternde Moderatoren, nur der Politikanalyst auf YTN war nicht allzu überrascht.
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Zunächst lag die GNP in 4 Wahlkreisen vorne – ein unglaublicher Sieg, nachdem man vorher gesagt hatte schon 2 (inklusive Seoul) wären nach dem Tal zumindest ein Erfolg, 3 ein richtiger Sieg. Und je länger der Abend dauerte, desto ungläubiger wurden die Beobachter. Im DP-Hauptquartier brach der Parteivorsitzende wortlos auf und ward nicht mehr gesehen. Die Regierungspartei war aber ebenso versteinert, denn damit hatte auch sie nicht gerechnet, zwei Monate nachdem sie teils bitter abgestraft wurde.
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Als es gegen 22 Uhr ging, wurde der dritte Wahlkreis immer knapper. Ein bekannter General hatte in einem Kreis an der Grenze für die GNP kandidiert und schaffte es tatsächlich als Underdog das Rennen noch zu drehen und lag am Ende recht deutlich vor dem Oppositionskandidaten.
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Das Ergebnis war ebenso deutlich wie die Niederlage der GNP bei den Kommunalwahlen: 5 GNP, 3 DP. Die Regierungsmehrheit um 4 weitere Sitze ausgebaut, die ohnehin im Vergleich zur GNP nur halb so große DP-Fraktion um weitere 2 Sitze geschrumpft. Und das als Oppositionspartei in bester Stimmung. Es ist schlicht das erste Mal, dass eine Regierungspartei in einer Nachwahl mit offenen Rennen (d.h. außerhalb von Honam und Yeongnam, wo die Stimmung recht fest ist) deutlich als Sieger hervorgehen kann. Das erste mal seit 11 Jahren zudem, dass eine Regierungspartei überhaupt vorne liegt. Bei höherer Wahlbeteiligung, auch dies somit ein Novum.
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Die Analyse
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Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. Und drittens ist der Wechselwähler in seiner Wechselaktivität sehr wählerisch. Vieles von dem, was ich in meiner Analyse der Kommunalwahlen gesagt habe, hat sich noch deutlicher bestätigt als ich es selbst geglaubt hätte, dass es sich so schnell materialisiert.
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Der Ball lag nach den Kommunalwahlen im Feld der Regierungspartei ihren Laden in den Griff zu bekommen. Das hat man, personeller Führungswechsel und die Beendigung des leidigen Sejong-Themas haben das Lager wieder einigermaßen geeint.
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Um aus dem Sieg vor zwei Monaten auch wirklich etwas Handfestes zu machen, hätte die Demokratische Partei den Wähler ernster nehmen müssen. ALLE Analysen zeigten, dass die Wähler der Demokratischen Partei fast genauso misstrauen wie der GNP, dass es aber eine Stimmung gab, der Regierungspartei einen Warnschuss zu versetzen. Ich hatte in meiner Analyse bereits klar aufgezeigt, dass es nicht die Stärke der DP war, die die Partei zum Sieg geführt hat . Die einfache Formel von Aufscheuchen der Jungen, Aufstellen eines gemeinsamen Kandidaten der Opposition, das hat nicht verfangen. Zudem verfangen sich bereits jetzt nach zwei Monaten einige neugewählte Amtsträger, insbesondere in den Bildungsämtern, in der Realität des politischen Alltags. Dass man für all die Versprechen Gelder finden muss, dass es rechtliche Bindungen gibt – all das war bekannt, aber kam im Wahlkampf natürlich nicht zur Sprache.
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Die GNP hat das in ihrer Situation Richtige getan: Sie hat allgemein bekannte und im jeweiligen Wahlkreis verwurzelte Persönlichkeiten aufgestellt. Die Analysen werden zeigen, dass der GNP die Mobilisierung ihrer Stammwähler gelungen ist, die durch die wiedererstarkte DP alarmiert waren, während die jüngeren Wähler dies mal wieder eher zuhause blieben.
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Wie immer sollte man aber bei einer Analyse in die einzelnen Kreise gehen, um nicht zu verzerrte Bilder zu liefern.
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Den GNP-Sieg in Incheon darf man nicht überbewerten: Gerade einmal ein Viertel der Wahlberechtigten ging zur Wahl. Der Sieg war zudem recht knapp. Trotzdem ein großer Erfolg, da dieser Sitz zweimal an die Opposition ging und nun erstmals seit 6 Jahren wieder von einem GNP-Abgeordneten repräsentiert wird.

Gwangju-Süd zeigt ziemlich gut, warum die DP verloren hat: Sie ist als Partei nicht beliebt. Die oppositionelle Arbeiterpartei DLP trat hier gegen den DP-Kandidaten an, wobei man sagen muss, dass Gwangju die absolute Hochburg der DP ist. Und im Endeffekt konnte der DLP-Kandidat über 40% der Stimmen holen. Obwohl seine Partei landesweit bei höchstens 5% liegt und in Gwangju ebenfalls bei nur 10-15%.
In Wonju in der Provinz Gangwon hat die DP gewonnen. Hier in dieser Region hat sich viel gewandelt, dies scheint stabiles DP-Gelände zu werden. Eine der wenigen guten Nachrichten heute für die DP. 12% Vorsprung, hohe Wahlbeteiligung.
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Im Großwahlkreis Taebaek, Yeongwol, Pyeongchang, Jeongseon war ein DP-Sieg so gut wie sicher, nachdem das hier eine sehr strukturschwache Region ist, die ohnehin zur DP neigt und die Wut über die Aussetzung der Amtszeit von Provinzgouverneur durch die angeblich konservativ beeinflusste Staatsanwaltschaft groß war. Bei hoher Wahlbeteiligung knapp 10% Vorsprung für den DP-Kandidaten, der Theater-Schauspieler ist, eine schöne Abwechslung allemal in der Nationalversammlung.
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Der dritte Wahlkreis in Gangwon war Hwacheon, Cheorwon, Inje, Yanggu. Und hier kam es zu einer faustdicken Überraschung, hat sich doch der konservative Kandidat durchgesetzt. Zwei Faktoren gelten als entscheidend: Der Mann ist bekannt, ein weithin geschätzter Karriere-General, verwurzelt in der Region mit guten Netzwerken. Zudem hat sich in der Region ein leichter Strukturwandel abgespielt und die Nachwehen der Cheonan-Angelegenheit sind noch zu spüren. Schon bei den Kommunalwahlen hatte die GNP in Gebieten an der Grenze weniger verloren als anderswo oder sogar leicht hinzugewonnen. Hohe Wahlbeteiligung, sechs Prozent Vorsprung. Dieses Ergebnis zeigt, dass es eben nicht reicht „irgendwen“ aufzustellen, Hauptsache es ist nur ein Oppositionskandidat.
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Cheonan in Süd-Chungcheong ist die nächste Überraschung. Der Wahlkreis war im Bereich des Möglichen, aber erwarten konnte man den Sieg des GNP-Kandidaten hier nicht, nach den teils existentiellen Kämpfen, die die GNP mit den Bürgern der Provinz ausgetragen hat. Mit acht Prozent Vorsprung ein deutlicher Sieg und somit macht vor allem die Deutlichkeit den Effekt.
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Ein Erstaunen ging bei den ersten Ergebnissen aus Chungju durch das Studio bei YTN und Jubelstürme durch die GNP-Parteizentrale. Die Hauptstadt der Provinz Chungcheong-Nord ist ebenfalls nicht gerade leichtes Pflaster für die Partei. Die Bewohner Chungcheongs sind tendentiell konservativ, aber nicht GNP-freundlich.
Dass der Kandidat der Partei in einer denkbar schlechten Ausgangslage, in einem denkbar schlechten Wahlkreis bei recht hoher Wahlbeteiligung mit 63% der Stimmen den DP-Kandidaten mit einem Vorsprung von mehr als 26% quasi deklassiert, hätte sich wohl niemand träumen lassen.
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Und dann ist da noch Seoul. Eunpyeong II um genau zu sein. Basis eines der engsten Vertrauen von Präsident Lee. Das hatte ihm 2008 bei den Parlamentswahlen, die insgesamt für die GNP gut ausgingen, den Sitz gekostet. Der von mir sehr geschätzte Mun Guk-hyeon gewann hauchdünn gegen Lee Jae-oh, der anschließend die obligatorische Politik-Auszeit nahm und dann die Menschenrechtskommission leitete.
Nun ist er also wieder da. Und hat nach nur 2 Jahren Auszeit seinen Sitz wieder. Und es war nicht einmal knapp. Bei einer für Nachwahlen extrem hohen Wahlbeteiligung von über 40%, die somit auch im Parlamentswahl-Bereich liegt, gewann er gegen Jang Sang von der DP. Das Duell war das wichtigste Duell dieser Nachwahlen, beide Seiten investierten enorme Zeit und Geld in ihre Kandidaten und die DP hoffte auch hier mit einem Import-Kandidaten als geeinter Alternative zum verhassten Lee Jae-oh erfolgreich sein zu können. Im Endeffekt setzte sich aber Lees Netzwerk im Wahlkreis durch, das er während 40 Jahren Arbeit im Bezirk aufgebaut hat. Er deklassierte Jang und lag am Ende 20% vor ihr. Jang ist keineswegs eine Zählkandidatin gewesen; sie ist Präsidiumsmitglied der DP, war immer wieder als Ministerpräsidentin unter linken Präsidenten im Gespräch bzw. wurde sogar dafür vorgeschlagen und ist eine bekannte Pfarrerin.
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Der Ausblick
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Was ist nun daraus zu machen? Es hat sich herausgestellt, dass Wähler nicht nur wählen, sondern sogar recht wählerisch sind. Sie wollen regional verwurzelte Kandidaten, die sie kennen. Zumindest diejenigen, die zur Wahl gehen.
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Die Regierungspartei hat zum ersten Mal seit 11 Jahren eine Nachwahl gewonnen und das aus einer denkbar schlechten Ausgangsposition. Es ist zudem der klarste Sieg einer Regierungspartei überhaupt. Die neue Parteiführung geht gestärkt aus den Wahlen. Gleichzeitig hat Präsident Lee jetzt wieder einige Vertraute mehr in Fraktion und Partei, um seine Vorhaben durchzudrücken.
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Die DP hingegen ist tief getroffen; die ohnehin nicht leise Kritik am Parteivorsitzenden Chung Se-kyun wird jetzt noch lauter werden, der Machtkampf ist ohnehin in vollem Gange. Der Parteitag wird wichtige Weichen stellen müssen.
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Warum das alles bedeutend ist? Weil bereits jetzt die ersten Anzeichen für Bewegungen in Richtung Präsidentschaftswahl 2012 zu sehen sind. Die Rennpferde bringen sich schon in Stellung, bzw. lassen schon einmal ihre Ställe bemannen.
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Die letzten beiden Wahlen zusammengenommen haben eine klare Botschaft: Die Regierung ist unbeliebt, die GNP sowieso, aber die Opposition kann sich nicht darauf verlassen, dass die jungen und uninteressierten Wähler an die Urnen strömen, nur weil die GNP als Feindbild da ist. Um eine Anti-Lee-Anti-GNP-Stimmung auch in Wahlerfolge umzusetzen, braucht es 1. Schlagkräftige Themen 2. Bekannte, verwurzelte Personen, die mit diesen Themen assoziiert werden 3. Enorme Mobilisierungsanstrengungen seitens der Parteiorganisation (Twitter, Gutscheine etc.). Bei einer Parlamentswahl und Präsidentenwahl ist die Mobilisierung der DP-nahen Wähler, die sich für eine „unwichtige“ Nachwahl nicht so interessieren naturgemäß größer, die GNP sollte also auch nach diesem völlig unerwarteten und historischen Erfolg nicht frohlocken. Die Kommunalwahlen haben allerdings sicherlich das Regierungslager enger zusammengebracht und die konservativen Stammwähler alarmiert. Ob das reicht, um Präsidentschaft und Mehrheit im Parlament zu verteidigen, ist jedoch weiter fraglich. 2 Jahre sind ohnehin noch Zeit, aber selbst wenn sofort gewählt werden würde, wäre das Rennen völlig offen. Und so ist es dem wahren politischen Beobachter doch im Endeffekt auch am liebsten.
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Und der Wähler hat ziemlich weise entschieden: Beiden großen Parteien einmal tief in die Magengrube gehauen in der Hoffnung, dass sich etwas ändert.
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Donnerstag, 3. Juni 2010

Die Nachwehen

Die Wahlen sind vorbei – rein numerisch haben wir 4.000 Wahlsieger und mehr als 6.000 Wahlverlierer im ganzen Land. Die Medien sind sich einig: Eine Niederlage für die regierende Große Nationalpartei (GNP) und ein Beweis für die wiedererwachte Stärke des linken Lagers unter Führung der Demokratischen Partei (DP). Und tatsächlich, an diesen beiden zusammenhängenden Einschätzungen lässt sich nichts deuteln. Doch lohnt sich ein Blick hinter die angeblich so deutlichen Ergebnisse, die schon jetzt von vielen Zeitungen beschworenen Auswirkungen auf die Politik. Tut man dies, und zwar mit den Wahlergebnissen als Daten für längerfristige Entwicklungen und Tendenzen und nicht als absolute Ergebnisse wie beim Fußball, dann ergibt sich ein sehr sehr differenziertes Bild über das ganze Land hinweg, das bedeutend interessantere Schlussfolgerungen zulässt.

Meine Grundthese ist, dass dies eine Momentaufnahme ist, sich aber an den grundlegenden Koordinaten im koreanischen Parteiensystem und der Machtstruktur für die nächsten Wahlen nichts geändert hat. Die Feinheiten jedoch haben sich sehr wohl verändert und zwar auf beiden Seiten – und nicht so eindeutig positiv für die Linken, wie es vielleicht aussehen mag.

Die Ergebnisse im Überblick

Ich ordne im Folgenden die Ergebnisse von gut für Hannara nach schlecht für Hannara – dies deckt sich nicht mit den Ergebnissen, wie sie nach den Zahlen aussehen. Und ich ordne vor allem nach Aussichten für die wichtigen Wahlen in 2 Jahren.

Jeju - Die größte positive Überraschung für das konservative Lager – nicht die GNP - ist aus meiner Sicht Jeju, wo der Kandidat, dem von der GNP die Nominierung entzogen wurde, ein ehemaliger Samsung-Manager und stockkonservativ, fast gegen den progressiven Kandidaten gewonnen hätte. Man darf nicht vergessen, dass Jeju eine tendenziell eher progressive Provinz ist, in der stark konservative Positionen keine Chance haben. Vielleicht hat sich hier etwas entwickelt, obwohl die GNP hier weiterhin recht schwach ist, mit gerade einmal 37% der Stimmen.

Hauptstadtregion - Die GNP konnte zwei wichtige Provinzen in der Hauptstadtregion knapp halten; hier wohnt die Hälfte aller Koreaner. Trotz Regierungspolitik konnte man sich hier auf der höchsten Ebene, d.h. dem Provinzgouverneur von Gyeonggi sowie dem Bürgermeister in Seoul behaupten. Ebenso auf der dritten Ebene, d.h. als stärkste Kraft bei der Parteienwahl, in der man sieht, dass dies keinesfalls ein DP-Sieg war, sondern ein Sieg eines wie auch immer gearteten linken/progressiven/regierungsfeindlichen Lagers, das durch die Opposition gegen die Regierungsprojekte (Vier Flüsse, Sejong-Stadt etc.) zusammengehalten wurde. Dass die DP hierbei die Führung übernommen hat, ist wichtig, aber in einem direkten Vergleich mit der GNP hat sie noch immer Probleme. Dafür haben linke Kandidaten fast alle Rathäuser in den Bezirken, die Bezirksparlamente und die Stadtversammlung gewonnen. Das tut weh, weil die Budgets so nur mit Trickserei an der Opposition vorbeigebracht werden können.
Zu Incheon muss man nicht viel sagen. Bürgermeister An Sang-su hat viele wichtige Projekte nach Incheon geholt, die Wirtschaft gestärkt und viel angestoßen, sich aber im Wahlkampf auf Amtsbonus und Bilanz verlassen und ist dafür bitter bestraft worden. Der Sieg von Song von der DP ist verdient; er ist unermüdlich noch auf die kleinste Insel gefahren, um sich Unterstützung zu sichern. Das war auch sehr nötig, denn Incheon ist eine sehr untypische Provinz mit einem großen städtischen Kern und unzähligen Dörfern und kleinen vorgelagerten Inselchen. Hier eine Mehrheit zu schmieden ist sehr schwierig, dafür Chapeau!

Chungcheong - Der Sieg fuer die Linken in den Chungcheong-Provinzen ist mehreren Faktoren geschuldet. Zum einen ist das konservative Lager hier nicht geeint. Es ist das gleiche Problem, wegen dem konservative Kandidaten bei den letzten Wahlen mit 35-40% der Stimmen locker gegen das zersplitterte linke Lager siegen konnten. In Chungcheong hatte man es mit der konservativen GNP, der noch konservativeren und regional hier verwurzelten LFP und einigen Pro-Park-Konservativen zu tun. Insgesamt kommt das konservative Lager in Chungcheong je nach Provinz und Kreis auf 60-85%. Spannend wäre zu sehen, inwiefern hier auch taktisches Wählen bzw. das Unterlassen desselben zu den DP-Siegen geführt hat. Auch hat die „unterlassene Hilfeleistung“ Park Geun-hyes in den Chungcheong-Provinzen der Hannara großen Schaden zugefügt. Park ist sehr beliebt in den Provinzen und hat eine „Pro-Chungcheong“-Haltung eingenommen. Hätte sie hier für Unterstützung geworben, hätte die GNP durchaus gewonnen, sie aber persönlich weiter an Popularität verloren. Klingt zunächst nach Widerspruch, ist es aber nicht, denn die Wählerschaft der Konservativen ist sehr komplex, in Chungcheon allemal. Aber Park hat sich wie gesagt wieder einmal gegen die GNP und für ihre Präsidentschafts-Aussichten entschieden; wohin das führen soll ist übrigens eine der am wenigsten diskutierten, für die politische Landschaft in Korea aber eine der bedeutendsten Fragen überhaupt.

Gyeongnam & Gangwon - Wirkliche Schläge ins Gesicht sind meiner Meinung nach insbesondere diese beiden Wahlergebnisse. Gangwon hat nie zum Stammgebiet der Konservativen gehört, aber in fast allen Wahlen der Vergangenheit konservativ gestimmt. Auch bei den Zweitstimmen liegt die GNP mehr als 9% vorne. Hier macht sich ein weiteres Bild deutlich - die GNP hat in einigen Gebieten zugelegt, in anderen sehr viel verloren. In den Grenzregionen ist die Nordkorea-Frage wichtiger gewesen, dadurch die GNP hier sowohl in Gyeonggi als auch in Gangwon stärker. Und an der Ostküste gibt es teils stärkere Gebiete als in der eigentlichen Stammregion: Der stärkste Sieger aller Kreisräte und Bürgermeister ist der beliebte Kandidat der GNP in Gangneung mit fast 80%. Auf Platz 2 der konservative Konkurrent von der Pro-Park-Partei. Linke unter ferner liefen. Gangwon entwickelt sich in zwei Richtungen, warum genau das so ist, weiss ich nicht zu sagen, aber der ohnehin wirtschaftlich schwächere Teil tendiert eher links, die durch Tourismus stark gewordenen östlichen Regionen werden stärker für die GNP, so meine erste grobe Einschätzung.

Wo jetzt alle drauf eingehen, Gyeongnam, das war für mich keine große Überraschung, ich habe es in der Prognose sogar richtig vorausgesagt. Gyeongnam wird immer als Stammland der Konservativen bezeichnet, das stimmt aber nicht so ganz. Es ist das Stammland eines Teils der Konservativen, der derzeit sehr schlecht repräsentiert ist in Regierung und Partei. Zudem vollzieht sich in Gyeongnam seit einiger Zeit ein merklicher demographischer und politischer Wandel, konzentriert auf die industriellen Zentren an der Südküste, wo genährt durch die starken Chaebol-Gewerkschaften eine arbeiterfreundliche Politik immer mehr Zuspruch findet und zudem eine leicht progressive städtische Mittelschicht entstanden ist, die es früher nicht so stark gab. Zudem liegt natürlich Rohs Heimat hier und dadurch gibt es hier ein weiteres Epizentrum. Und nirgendwo sieht man die Zersplitterung des linken Lagers so schön wie hier bei den Zweitstimmen: Im konservativen Lager GNP bei 50%, Pro-Park bei 6%, LFP bei 2%, im linken Lager die DP bei 18% (!), die DLP bei 15%, Pro-Roh bei 7% und die NPP bei 4%. Wer hier also aus der Wahl eines progressiven, aber unabhängig angetetenen Provinzgouverneurs eine Riesenrevolution ziehen möchte, der sollte sich noch einmal die Ergebnisse genauer anschauen – längerfristig gibt es aber durchaus einen Trend zu mehr linken Stimmen.

Bildungsintendant Seoul – Ein klassisches Problem dieser Wahlen kann man bei den Wahlen zum Bildungsintendanten (Gyoyukgam – ist so ein unübersetzbares Wort) in Seoul besichtigen. Wir hatten einen Haufen Kandidaten, davon alleine 5, die sich gegenseitig in Konservativität überboten haben und zwei progressive, von denen einer ziemlich radikal war. Favoriten waren Lee Won-hui (konservativ) und Kwak No-hyeon (progressiv), wobei Kwak im Endeffekt mit etwa 1% Vorsprung gewonnen hat. Was die Konservativen durch Einigkeit ganz einfach verhindern hätten können. Nimmt man die progressiven Kandidaten zusammen, kommt man auf 38,6%. Nimmt man nur die beiden ideologisch nächsten aneinander liegenden konservativen Kandidaten, also Lee Won-hui und Kim Yeong-suk, kommt man bereits auf 45,3%. Nimmt man dann noch die gemäßigt konservativen Kandidaten hinzu käme ein geeinigter Kandidat wie bei den Linken auf über 60%. Aber dazu dachten alle konservativen Kandidaten die Wahl wäre zu klar und die Linken würden sich eh nicht einig werden. Pech gehabt, Arroganz wird immer bestraft.

Umfragen & Prognosen

Apropos Arroganz. Ich bin mir sehr wohl bewusst, dass meine Prognosen in den Werten falsch lagen. Da ich sie fairerweise eine Woche vor den Wahlen abgegeben habe und nicht meine Kenntnisse der nicht veröffentlichten letzten Umfragen einbezogen habe, in denen die linken Kandidaten von Tag zu Tag aufgeholt haben, ist das aber auch kein großes Wunder. Läge ich bei meinen Prognosen richtig, würde ich nicht hier auf diesem Blog schreiben, sondern für das Präsidialamt. Und zwar das amerikanische, denn das würde am besten dafür bezahlen.

Trotzdem lag ich ziemlich gut, was auch nicht verschwiegen werden soll: Ich habe den richtigen Trend für Chungbuk vorhergesagt und den richtigen Sieger in 15 von 16 Provinzen.

Ich zitiere mich mal selbst zu Gyeongnam: „Waere eine faustdicke Ueberraschung auf allen Kanaelen, wenn die Opposition hier gewinnen wuerde, mich aber wuerde es nicht so ueberraschen.“

Auch die Hauptstadtregion habe ich mit 2:1 und den richtigen Provinzen für GNP und DP richtig vorhergesagt. Bei den Zahlen für Seoul habe ich mich aber ordentlich verhauen. Dass es so knapp wird, hätte ich niemals erwartet. Auch in Gangwon habe ich mich zu sehr auf die Struktur verlassen und zu wenig auf den Swing.

Fazit

Ich lese aus den Wahlen folgende Ergebnisse:

1. Das linke Lager kann als Opposition geeint gewinnen. Dies ist eine wichtige Aussage, wenn man aber die Wahlen 2012 gewinnen möchte, muss mehr kommen als eine Negativ-Stimmung gegen die Regierung. Insbesondere wenn man nach einer möglichen Rückeroberung der Macht einigermaßen geeint bleiben möchte, sollte man sich schon jetzt einmal Gedanken machen. Schon am Wahlabend übte die DP massiv Druck auf die gerade erst gegründete BBP (Pro-Roh) aus, wieder „heim zu kommen“ und das Lager offiziell zu einen. Hier wird es in Zukunft noch viele Diskussionen geben. Die BBP ihrerseits hat trotz der positiven Stimmung anlässlich des ersten Todestages von Roh landesweit enttäuscht. Sie würde derzeit landesweit trotz einiger tragfähiger Kandidaten wie Yu Si-min sogar noch hinter den Pro-Park-Kräften zurückbleiben. Und ich rede hier von Zweitstimmen, wo man nicht taktisch wählen musste.
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2. Die Regierung hat jetzt ein echtes Problem. Der Wegfall der unterstützenden Kräfte in den Provinzen sind weniger das Problem als das Zeugnis, das die Bürger den Hauptprojekten der Regierung ausgestellt haben, insbesondere in Chungcheong, das doppelt getroffen ist. Die Regierung kann sich auf ihren Kompetenzvorsprung bei Sicherheit und Wirtschaft nicht verlassen, solange die wirtschaftliche Erholung nicht bei der breiten Bevölkerung angekommen ist. Hier wird es im zweiten Halbjahr eine deutliche Belebung geben; mal schauen wie sich das auswirkt.
Innerparteilich ist der größte Bewerber um die Präsidentschaftskandidatur, Parteivorsitzender Jeong Mong-jun jetzt erstmal so gut wie aus dem Rennen, zumindest mittelfristig. Park Geun-hye hat sich wie immer ambivalent verhalten. Allgemein wird ihr Verhalten dahingehend interpretiert, dass sie zeigen wollte, wie die GNP ohne sie aussähe. Kindisches Verhalten, aber gezeigt hat sie ihre Macht erst einmal. Ob es belohnt wird, ist eine andere Frage. Oh Se-hoon und Kim Mun-su würde ich jetzt beide auf jeden Fall als Kandidaten aus der GNP für die Präsidentschaft zählen; sich in so einem Sturm zu behaupten, das könnte eine ganz wichtige Voraussetzung für die Wahlen 2012 werden und vor allem psychologisch Kraft geben. So groß ist das Personaltableau im Übrigen auch sowieso nicht, weshalb man sich an diese Hoffnungsträger klammern sollte.
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3. Vernichtend war die Niederlage der GNP wie gesagt nicht; kurzfristig schon, aber wer vernichtende Niederlagen, die bis zur Auflösung eines ganzes Lagers führen sehen will, der sollte sich die linken Niederlagen bei den vergangenen Wahlen anschauen. Das waren Wahlen, wo die Linken insgesamt nur noch auf 30% kamen – das hier ist für eine Regierungspartei eine deutliche Abstrafung, eine herbe Niederlage, aber nichts, das wirklich existenzbedrohend ist. Wenn auch knapp; man hat zwei erfolgreiche und beliebte Provinzgouverneure in Seoul und Gyeonggi durchgebracht – die Wiederwahl Ohs in Seoul ist die erste überhaupt in der Stadt. Ein mehr als getrübter Sieg, aber ein Sieg nichtsdestotrotz. Und denjenigen, die Oh jetzt als Bürgermeister von Gangnam veralbern, kann ich nur sagen, dass das nun einmal Mathematik ist: Wenn Han im Norden nur mit Ergebnissen von 48-46 gewinnt, in ihren Hochburgen mit 55-45 und Oh dafür vier der bevölkerungsreichsten Bezirke mit jeweils fast 60-40, dann kommt eben am Ende so etwas raus. Gangnam ist ja nicht eine Apartmentsiedlung reicher Bonzen, die alle 10 Stimmen haben – Gangnam, Seocho und Songpa haben gemeinsam irgendwas um die 4 Millionen Einwohner, deren Wählervotum zählt genauso wie das der anderen. Hätte man Gangnam schneller ausgezählt, wäre es zu der Diskussion auch gar nicht gekommen, weil es dann gar nicht so aufgefallen wäre. Auch wenn das nach der unglaublichen Aufholjagd, die Han Myeong-suk noch gezeigt hat, müßig erscheinen mag: Versemmelt hat sie es. Klare Niederlagen in den TV-Debatten, in den Persönlichkeitswerten hinter Oh. Sie hat deutlich weniger Stimmen als ihre Partei, konnte den Rückenwind der Stimmung nicht ganz für sich nutzen. Während die GNP nur 4 Rathäuser halten konnte, hat Oh immerhin in 8 Bezirken im Süden, Westen und Norden der Stadt gewonnen. Das zeigt, dass er deutlich beliebter ist als seine Partei.
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4. Das Regierungslager, wenn auch nicht vernichtet, ist angeschlagen und ich erwarte, dass die innerparteilichen Machtkämpfe, die teils schon keine innerparteilichen mehr sind, nun wieder aufbrechen. Ein weiterer genauer Blick zeigt übrigens, dass die vielen Unabhängigen, die gewählt wurden in Wirklichkeit zu 3/4 bis 4/5 Konservative sind. Die meisten davon Pro-Park. Das wird ganz spannend, wie sich dies entwickelt. Und genau hier entscheidet sich das Wichtige für die nächsten Wahlen: Die GNP müsste an sich zwei große Lehren aus diesen Wahlen ziehen: 1. Konfrontation mit der Linken geht nicht, wenn man nicht dabei seine eigenen Wähler mobilisiert und dies ist ganz eng mit 2. verbunden, nämlich Einheit des konservativen Lagers. Ohne ein einheitliches Gefühl der Gegnerschaft zu linken Positionen, ohne eine gemeinsame Linie und gemeinsamen Wahlkampf kann eine konservative Partei nicht überleben. Was die GNP machen müsste; Einigkeit zeigen, die kleinlichen persönlichen Streitereien einstellen, einen Kompromiss für Sejong finden und sich um eine politisch-geistige Einheit mit der LFP bemühen. Ich ahne aber, dass es eher zum Gegenteil kommen wird.
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5. Und somit ist eigentlich alles beim Alten: Der Wahlausgang legt ein stabiles Zwei-Parteien-System nahe, in Wirklichkeit geht es aber nach Altersgruppen, Regionen und Persönlichkeiten quer durcheinander, wild herum und immer verliert die Regierungspartei. Wie gesagt, nichts was einen Kenner der koreanischen Politik wirklich aufregen müsste. Wichtig ist, was hinten rauskommt und das ist 2012 und was auf dem Weg dahin passiert. Der psychologische Vorteil ist bei den Linken; was aber noch lange nicht heißt, dass sie ihn nutzen.
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Samstag, 22. Mai 2010

Wahlprognose zu den Kommunalwahlen

Nicht, dass ich mir wissenschaftlichen Sachverstand zuvertrauen wuerde, aber tippen macht halt Spass und wenn man sich die Artikel im Spiegel und in der FAZ anschaut - so viel angelesenes Wissen bringe ich dann doch noch mit, um da zu konkurrieren.
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Die Lage
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Alle Experten sind sich einig, dass die Wahlen von zwei grossen Variablen entschieden wird, der "Nordwelle" und der "Roh-Welle", die erstere eher gut fuer die Regierungsparteien, die zweitere deutlich negativ. Zudem ist eine weitere Unbekannte der Erfolg der sogenannten "Jeongkwonsimpannon", also ob es eine Denkzettelwahl fuer die Regierung wird.
Ich glaube es wird einen leichten Denkzettel geben, die beiden Wellen werden sich aber landesweit gesehen meiner Meinung nach eher ausgleichen. Schlussendlich wirkt sich die Nordwelle nicht so stark aus, ist aber bedeutend groesser. Die Roh-Welle ist schlicht ein sehr begrenztes Phaenomen einer bestimmten Bevoelkerungsschicht, die ohnehin sehr stramm links ist. Das einzige, was die Roh-Welle veraendern duerfte, ist die Wahlbteiligung, da viele der "fauleren" Waehler erinnert werden, dass es einen gemeinsamen Feind gibt.
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Beide Effekte duerften ihren Hoehepunkt zudem bis zum Wahltag ueberschritten haben, egal, was beide Lager tun, um sie am koecheln zu lassen. Insbesondere die Roh-Welle duerfte kaum deutlich ueber den heutigen ersten Todestag hinausgehen, auch wenn die Hankyoreh es sichtbar versucht mit Schlagzeilen wie "heute war der Regen gelb" und inflationaeren Zahlen zu den Trauergaesten. Polizei und verschiedene Beobachter gingen von 10.000-15.000 Teilnehmern am Gedenkkonzert im Seouler Zentrum aus, in der Hankyoreh steht was von 50.000 und in der Chosun Ilbo steht - nichts. So viel mal wieder zur Presselandschaft in Korea.
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Wahlkampf
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Was wir im Wahlkampf sehen, ist eine ziemlich klare Lagerbildung, die dementsprechend auch ihre eigenen Themen pflegen. Was mich auf beiden Seiten anwidert ist dieser Wahlkampf mit Toten. Die Konservativen stilisieren die Toten der Cheonan zu Volkshelden hoch, die sich dem boesen Norden in den Weg gestellt haben. Dabei waren sie einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort. Auf der anderen Seite grinst einem in jeder linken Wahlwerbung das Gesicht von Roh Moo-hyun entgegen, oft noch garniert mit Kim Dae-jung. Die Kandidaten besuchen Gedenkausstellungen, pilgern zu Wohn-, Geburts- und Sterbeorten Rohs und die Wahlslogans koennen kaum noch unpolitischer werden: "Wenn der Wind weht, weiss ich, dass du gelacht hast". Bisher konnte mir noch niemand in Diskussion erklaeren, was diese neue politische Stroemung auf Basis von Rohs sogenannter Philosophie genau sein soll. Eine "menschliche" Welt wollen die Leute, mehr "Ruecksicht" aufeinander. Ah ja, wie genau jetzt? Warum sollten es die Nachmacher eigentlich besser hinbekommen als das Original?
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Voellig kritisieren moechte ich aber den Wahlkampf nicht. Gerade die TV-Debatten zeichnen sich teils durch hohe Sachkenntnis und echte inhaltliche Diskussionen auf beiden Seiten aus. Was mich doch eher ueberrascht hat. Sicher, die Zahl der oekologisch-einwandfreien Beilagen bei der Schulspeisung oder die genaue Kilometerzahl einer Verbindungstrasse der Pendlerbahn zwischen Seoul und Gyeonggi, das reisst nicht vom Hocker, aber es ist zumindest ein sehr positiver Trend in einem politischen Umfeld, in dem eine inhaltliche Auseinandersetzung um Positionen noch immer nicht selbstverstaendlich ist.
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Schlimmer als je zuvor ist aber der Strassenwahlkampf. Also genau kann ich es nicht sagen, da es meine ersten Kommunalwahlen in Korea sind und ich mal stark vermute, dass es vor 4 Jahren nicht bedeutend anders gewesen sein duerfte. Waehrend bei den Praesidentschaftswahlen Plakate nur an vorgefertigten Waenden angebracht werden durften und sich auch der Einsatz von Lautsprecherwagen in Grenzen hielt, wird heute aus allen Rohren geschossen: Ganze Gebaeude sind mit Grossflaechenplakaten verhaengt, Lautsprechermusik verschiedener Parteien ueberlagert sich, wohin man geht, liegen die Visitenkarten der Kandidaten auf der Strasse. Ist aber auch kein Wunder: Es wird ja wirklich alles auf einmal gewaehlt. Konkret waehlt man in Gongdeok den Seouler Buergermeister, den Abgeordneten der Seouler Stadtversammlung fuer Gongdeok, die dazugehoerige Parteiliste fuer die Stadtversammlung, den Bezirksbuergermeister und die Abgeordneten der Bezirksparlamente sowie ebenfalls die Liste und zusaetzlich dann noch den Bildungsdezernenten Seouls und die Bildungsbeiraete. Uff. 8 Stimmen fuer jeden, allein in Gongdeok ueber 40 Kandidaten. Ohne Parteilogos oder zumindest heuristische Farbgebung der Plakate wuerde man komplett den Ueberblick verlieren. Allein an meiner Kreuzung haengen inzwischen gezaehlte 19 Plakatbaender (vergleichbar am ehesten mit den deutschen Grossflaechenplakatwaenden). Ein bunter Reigen aus hellblau, dunkelblau, rot, gelb und gruen.
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Das Volk scheint es bisher alles eher weniger zu interessieren. Die Stimmung ist erstaunlich stabil in letzter Zeit. Der Grossteil der Bevoelkerung sieht, dass Lee inzwischen ein bisschen auf Volkes Stimme Ruecksicht nimmt und vor allem die Wirtschaft wieder in den Griff bekommen hat. Bei dem, was ich immer die "Seouler Mittelschicht" nenne und den Intellektuellen sowie einigen meist uninformierten (oder ueberinformierten) Juengeren bleibt Lee Hassobjekt Nummer 1. Perfekte Voraussetzungen fuer ein spannendes Rennen, zumal die ersten Befuerchtungen bezueglich des linken Lagers - naemlich Zersplitterung - nicht in dem Mass manifestiert haben, wie man das vor dem Wahlkampfbeginn noch befuerchten musste.
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Fuer eine Partei, die landesweit in Umfragen zwischen 2 und 5% erreicht (die Roh-Sympathisanten von der "Buergerbeteiligungspartei), haben sich ziemlich viele Kandidaten gegen Konkurrenten von der eigentlichen Oppositionspartei DP durchgesetzt. Ob das auf Dauer gut geht, wird man sehen, aber um eventuelle Effekte einer "Roh-Welle" abzugreifen war es sicher nicht die schlechteste Idee, zumal die DP wirklich in der Breite nicht viel zu bieten hat und auf die prominenten Gesichter der Buergerbeteiliger zurueckgreifen auch aus diesem Grund in den hochpersonalisierten Wahlkaempfen um die Provinzgouverneursposten ein schlauer Schachzug ist.
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Prognosen
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Wie siehts also aus? Meine Prognose ist nicht mathematisch, sondern beruht rein auf Bauchgefuehl. Damit habe ich bei der Praesidentschaftswahl recht weit daneben gelegen, bei der Parlamentswahl war ich schon besser, also probieren wir jetzt mal die Genauigkeit durch Schwammigkeit in der Prognose zu verbessern.
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Seoul: Oh Se-hoon (GNP) bleibt Buergermeister. Meiner Meinung nach recht klar mit 10-15% Vorsprung. Han Myung-sook ist beliebt, keine Frage, aber so richtig zieht sie im Wahlkampf nicht und Oh hat nun einmal wirklich ein paar Erfolge vorzuweisen, die beim Waehler ankommen. In den Bezirken wird die GNP jedoch ziemliche Verluste hinnehmen muessen, was auch kein Wunder ist, nachdem man letztes Mal alle (!) Bezirke gewonnen hat und auch fast alle (!) Sitze in der Stadtversammlung. Seoul war in den letzten 4 Jahren eine Einparteienstadt. Die DP wird zumindest in einigen Bezirken im Norden und Suedwesten zurueckkommen koennen, auch wenn die GNP die Mehrheit der Rathaeuser behaupten wird.
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Incheon: Ganz schwieriges Pflaster. Buergermeister Ahn Sang-soo ist eigentlich beliebt, aber sein Herausforderer von der DP hat extrem aufgeholt. Ich sehe es durchaus als moeglich an, dass Incheon von der DP erobert wird, wenn auch extrem knapp. Hier wird es wirklich auf die genauen Auswirkungen der einzelnen Faktoren (Wahlbeteiligung, Nordkorea, Roh, Regierungsdenkzettel) ankommen. Da Incheon mehr Probleme hat und Ahn nicht so charismatisch wie Oh duerfte es Probleme geben.
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Gyeonggi: Kim Mun-su ist nicht gerade ein Charismatiker, aber er hat das ehemalige Anhaengsel von Seoul richtig gut entwickelt. Erfolgreich, sehr erfolgreich. Gegen ihn tritt Rhyu Si-min an, einer der Chefideologen von den Roh-Anhaengern. Meiner Meinung nach eine voellige Fehlbesetzung und schon als Gesundheitsminister unter Roh eher durch Inkompetenz aufgefallen, aber nichtsdestotrotz fuer seine Ehrlichkeit und Offenheit in den Aussagen beliebt. Er koennte es knapp machen, wenn alles fuer ihn laeuft, aber ich glaube trotzdem dass Kim das Rennen macht. Am Ende vielleicht sogar recht deutlich.
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Gangwon: Auch Gangwon koennte knapp werden, strukturell ist hier die GNP aber klar im Vorteil. Ich denke die GNP kann das Provinzgouverneurenamt und die meisten Kreise halten.
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Gyeongnam: Eigentlich eine traditionelle Hochburg der GNP, aber hier koennte sich meiner Meinung nach die Roh-Welle zeigen, da sie hier besonders hoch ausschlaegt. Schon bei den Nachwahlen zum Parlament letztes Jahr hat sich gezeigt, dass es hier zu Probleme kommen kann. Waere eine faustdicke Ueberraschung auf allen Kanaelen, wenn die Opposition hier gewinnen wuerde, mich aber wuerde es nicht so ueberraschen.
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Jeonnam, Jeonbuk, Gwangju: Muss man ja nicht drueber reden. Die Hannara braucht eigentlich nicht antreten.
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Busan, Gyeongbuk, Ulsan, Daegu: Gleiches Spiel andersrum. Sehe fuer die Opposition nur in Busan einigermassen Chancen zumindest ein paar Bezirke zu gewinnen.
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Jeju: Jeju waehlt immer irgendwie anders. Die GNP hat ihren Kandidaten hier aus der Partei rausgeschmissen und steht jetzt ohne da. Er tritt trotzdem an, hat laut Umfragen gute Chancen als Unabhaengiger gewaehlt zu werden, was sogar ein Zugewinn fuer die GNP waere, da man diese Provinz bei den letzten Wahlen nicht erobert hatte. Glaube trotzdem an einen Sieg der Opposition hier, auch wenn man auf Jeju beobachten kann, was passiert, wenn die Linke nicht geeint ist: Der offizielle DP-Kandidat liegt bei etwa 20%, der inoffizielle, der als Unabhaengiger verkleidet antritt bei knapp 30% - zusammen waer die Wahl fast gelaufen, so wird es noch mal spannend.
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Chungbuk: Sah lange Zeit trotz Sejong-Problemen und 4-Fluesse-Projekt ganz gut aus fuer die GNP, in letzter Zeit scheint es aber knapper zu werden. Zudem konzentrieren sich alle Bemuehungen der GNP auf die Hauptstadtregion, weshalb man hier so ziemlich auf weiter Flur allein ist. Sehe Vorteile fuer die GNP, bei einem spuerbaren Swing landesweit duerfte es hier aber auch zuende sein mit der GNP-Vorherrschaft. Einige Kreise wird man aber auf jeden Fall halten koennen.
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Chungnam: Da wird es ganz lustig. Die GNP hat hier so gut wie keine Chance, die Sejong-Problematik hat ihr hier voellig das Genick gebrochen. Stattdessen konkurrieren LFP und DP gegeneinander mit derzeit einigen Vorteilen fuer die DP. Allerdings kann ich mir vorstellen, dass das eigentlich doch strukturell konservative Chungnam durchaus hinter dem LFP-Kandidaten zusammenkommt, zumal die LFP ihre Wahlkampfbemuehungen ganz auf diese Region konzentriert. Fuer beide, DP und LFP waere dies ein symbolisch sehr bedeutender Sieg.
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Zusammenfassung:
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Fuer die GNP kommt es ganz einfach darauf an, ob man die wichtigen Posten in der Hauptstadtregion verteidigt, fuer die DP darauf, ob man sie erobert. Meiner Meinung nach wird es bei den Wahlen zu einem eher unklaren Gesamtbild kommen.
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Die GNP wird von ihrem absoluten Traumergebnis (12 von 16 Provinzgouverneuren, Mehrheiten in 13 von 16 Provinzversammlungen) einiges einbuessen. Insbesondere Chungnam, Chungbuk, Daejeon, Incheon und Gyeongnam sehe ich als gefaehrdet an.
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Fuer die DP wird es darauf ankommen, wie weit man wieder Boden gut machen kann. Wenn man auch nur einen Posten in der Hauptstadtregion zurueckerobert, wird man das als Erfolg verbuchen koennen. Zudem koennten Zugewinne in den Chungcheong-Provinzen sowie eventuell in Gyeongnam als grosser Erfolg gewertet werden.
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Meinen Prognosen zufolge wird am Wahlabend jeder etwas zum Freuen haben: die LFP in Chungnam, die GNP in Seoul, Gyeonggi und Gangwon und die DP im Rest des Landes.
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Und dann bleibt doch alles mehr oder weniger beim Alten, weil die Provinzen ja kaum Macht haben in Korea und allenfalls zur innerparteilichen Profilierung benutzt werden.
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Sonntag, 14. März 2010

Durch Zersplitterung zur Macht?

Der Widerstand gegen die Regierung Lee bröckelt auf weiter Front im ganzen Land. Dem Präsidenten und insbesondere der Hannara-dang fliegen noch immer nicht die Sympathien zu, aber irgendwie gibt es so ein ganz verbreitetes Gefühl von "es liegt zwar eine Menge im Argen, aber er hat uns ganz gut durch die Krise gebracht" in der Luft. Auch wenn man Taxi fährt, hört man heute völlig andere Bezeichnungen für den Präsidenten. Früher hieß er schlicht "Der Diktator", "Maengbak", "Jwibagi"...allesamt sehr böse Bezeichnungen. Seit einigen Monaten scheint sich "Onkel Myeong-bak" durchzusetzen, schon fast auf gruslige Weise liebevoll oder immerhin schlicht "Präsident Lee".
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Besonders deutlich wurde mir dieser Wandel auch in zwei Gesprächen mit Freunden von mir. Einer hatte Lee bei den Präsidentschaftswahlen gewählt, dann während der Rindfleisch-Proteste sogar mitprotestiert gegen Lee und inzwischen singt er wieder Lobeshymnen auf den wirtschaftlichen Verstand des Präsidenten.
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Ein anderer Freund ist sogar noch extremer. Bei den Präsidentschaftswahlen gar nicht gewählt, bei den Parlamentswahlen den Kandidaten der linken Minno-dang und heute erzählt er mir, dass auch bei den nächsten Präsidentschaftswahlen ein konservativer Kandidat gewinnen müsse, damit der wirtschaftliche Erholungskurs weitergehe.
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Und da spreche noch einer von "Ideologisierung der Gesellschaft". Ich habe das Gefühl, dass in Korea noch mehr als anderswo das Economical Voting stark ist und bleibt und solange die Makrowirtschaft stimmt selbst Arbeitslose die Wirtschaftspolitik loben. Umverteilung, Umwelt und andere Themen mögen in vielen Teilen der Seouler Mittel- und Bildungsbürgerschicht ein Thema sein - gesamt gesehen wohl eher nicht.
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Und trotzdem sitzt Lee nicht fest im Sattel. Auch wenn der innerparteiliche Widerstand bröckelt, könnte der tiefe Riss zwischen Pro-Lee-Faktion und Pro-Park-Faktion jetzt erst richtig aufbrechen (in die Ecke gedrängte Hunde beißen!). Die Kommunalwahlen Anfang Juni werden ein richtiger Stimmungstest mit negativen Vorzeichen für die Regierungspartei, weil sie 1. die Regierungspartei ist und man eher zur Wahl geht, wenn man die Partei abstrafen will 2. die Hannara nach dem riesigen Erfolg vor 4 Jahren nur noch verlieren kann und 3. die Partei in sich nicht geschlossen ist.
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ABER.
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Die linken Parteien könnten auch ganz schön böse aufwachen. Die Hannara hat einige sehr populäre Amtsinhaber im Rennen (in der Hauptstadtregion gehen alle drei Oberhäupter von Incheon, Gyeonggi und Seoul als Favoriten ins Rennen) und könnte allein mit diesen drei Verteidigungen schon die Wahlen als insgesamt gewonnen verkünden, selbst wenn Gangwon und die Chungcheong-Provinzen verloren gehen.
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Und das Allerschlimmste: Kaum wittern die Linken Morgenluft, zersplittert sich das Lager in alle möglichen Richtungen.
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Wo es ehemals nur die Minnodang gab, gibt es seit einiger Zeit Minno und Jinsin.
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Wo es ehemals nur die Minjudang gab, formieren sich jetzt neben der Minju noch die von mir liebevoll "Tote-Ex-Präsidenten-Parteien" genannten Splittergruppen. Die Anhänger Präsident Rohs meinen einen neuen Anlauf nehmen zu müssen, eine sozialdemokratische Partei zu etablieren. Die Anhänger von Kim Dae-jung wiederum wollen sich die Honam-Region zurückerobern und gründen deshalb gleich noch eine Partei.
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Alles halb so schlimm beteuern alle neuen Parteivorsitzenden; man werde ja die jeweils aussichtsreichsten Kandidaten des linken Lagers als vereinte Kandidaten ins Rennen schicken. Wie lächerlich das ist, zeigt sich derzeit schon in Gyeonggi-do: Amtsinhaber Kim von der Hannara liegt in Umfragen mit 55% vorne, dahinter 5 linke Kandidaten mit jeweils zwischen 11 und 5%, die sich bekämpfen als gäbe es kein morgen mehr. Zwar sind die Vorwahlen in beiden Parteien noch nicht gelaufen und es wird im Endeffekt trotz allem ein knappes Rennen, aber es zeigt schon wie dramatisch die Zersplitterung ist.
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Und selbst wenn sich diese 5 (!) Parteien auf einen Kandidaten einigen sollten; alle politikwissenschaftlichen Erkenntnisse zeigen, dass 5 x 10% Unterstützung in Wahlen eben nicht 50% ergibt.
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Wenn nach diesen Vorlagen, nach dieser Ausgangssituation die linken Parteien die Kommunalwahlen aufgrund ihrer Uneinigkeit bei Kleinigkeiten wieder in den Sand setzen, ist ihnen wirklich nicht mehr zu helfen.
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Dienstag, 2. März 2010

The Kangster & 전요오크

Der Spitzname von Kang Gi-gap unter konservativen Freunden und Expats ist "The Kangster".
Kang ist alles, woran Linke glauben moechten: Anti-elitär, anti-kapitalistisch, anti-amerikanisch. Er ist eigentlich gegen alles, vor allem gegen das Establishment, gegen die Besitzhabenden. Das macht ihn sympathisch. Er pflegt sein Image des einfachen Bauern, der für den Respekt kämpft, der ihm und den einfachen Bürgern zusteht. Deshalb auch der Hanbok. Ich weiß aus sehr sicherer Quelle, dass der Hanbok auch nur ein Image-Mittel bei ihm ist. Er trägt ihn gern und richtig, aber er gehört ebenso zur Imagepflege wie die Frisur von Park Geun-hye.
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Also kämpf Kang, Retter der Entrechteten, im Zentrum des Bösen, in der Festung des Kapitals gegen die Volksfeinde. Er kämpft allerdings ebenso ohne Regeln, ebenso undemokratisch und ebenso an den wahren Problemen vorbei, wie diejenigen, die er bekämpft. Er ist bei weitem ideologischer, extremistischer und unnachgiebiger als diejenigen, die er bekämpft, er kennt keine Grautöne, nur das, woran er glaubt. Und dann wundert er sich, dass er ins Leere läuft. Ein wunderbares Porträt dieser schillerndsten Persönlichkeit der koreanischen Politik ist jetzt in einer amerikanischen Zeitung erschienen. Beim Erzfeind, ausgerechnet.
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Warum ich schon wieder von Kang schreibe?
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Ich habe heute Jeong Mong-jun, den FIFA-Vizepräsidenten, Hyundai-Erben und Chef der Regierungspartei Hannara getroffen. Allein diese Ämterkombination sagt schon eine Menge über koreanische Politik und Gesellschaft aus. Und ich war geschockt. Das unsichere Auftreten, dieses zögernde, ungelenke in seinen Worten hat mich heute total fasziniert. Er hat völlig gekuscht, und zwar vor einer Frau, die ihm ungefähr bis zum Nabel geht.
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Jeong stand im Aufzug mit mir und Jeon Yeo-ok, der ehemaligen Parteisprecherin der Hannara und konservativen (ausnahmsweise würde ich hier sogar rechtskonservativ, reaktionär als treffend bezeichnen) Bulldogge. Offiziell ist Jeon heute einfache Abgeordnete, Autorin und Kolumnistin. Dass sie aber so dicke mit Jeong zusammenkluckt hätte mich eigentlich nicht überraschen sollen. Überraschen sollen hätte mich, dass nicht auch noch Lee Jae-oh mit von der Partie war. Jedenfalls schien die Baggage sich im Fahrstuhl mit mir unbeobachtet zu fühlen. Ich denke es gibt nicht viele Ausländer, die diese Kombi erkennen.
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Also ging Jeon Jeong richtig an, kaum dass die Fahrstuhltüre zu waren. Dass er vernünftig reden solle, wo doch alle im Moment wegen Sejong-Stadt so aufgeregt seien. Man müsse vernünftig an die wichtigen Leute ran und dürfe nicht nur Small Talk halten. Jeong antwortete wie ein Schulkind immer nur demütig nickend, ab und zu ein "Ja". Während sie ihn zusammenfaltete, gab sie noch seinem und ihrem Bodyguard/Sekretär (so genau hab ich das nicht mitbekommen) detaillierte Anweisungen, wie jetzt alles zu laufen habe, wie man zum nächsten Termin zu kommen habe, wer noch angerufen werden müsse. Sie hatte dabei eine unglaubliche Routine und Abgebrühtheit. Alles spielte sich in 20 Sekunden ab, während einer Fahrstuhlfahrt, die mir wie eine Ewigkeit vorkam. Es war als wäre ich mit dem Teufel persönlich im Aufzug, Jeong Mong-joon, der mächtige Jeong nur ihre Marionette, die Seele verkauft.
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Da kam mir wieder Kang in den Sinn. Wenn man die Wahl hat zwischen einer hoch professionellen rechtskonservativen Schreckschraube und einem höchst unprofessionellen Sozialromantiker - wie verständlich sind dann Wahlbeteiligungen von 40%. Und auch wenn der Instinkt sich vielleicht für Kang entscheiden mag, was viele bei der Wahl zwischen Kang und Jeon machen würden, weiterbringen tut beides das Land nicht.
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Freitag, 30. Oktober 2009

Demokratie nach Hankyoreh

Ja, ich werde weiterhin meinen kleinen persoenlichen Feldzug gegen die Idealisierung der Hankyoreh als strahlender Leuchtturm gegenueber den finsteren Maechten der Chosun Ilbo fortfuehren. Noch Mal: Die Hankyoreh ist ein wichtiger Bestandteil des koreanischen Mediensystems, sie ist noetig als Gegengewicht zu Zeitungen wie der Chosun Ilbo, aber in ihr steht genauso viel hirnverbrannte Scheisse wie in jeder anderen Zeitung, ihre journalistischen Standards und Methoden sind genauso unzumutbar und ihre politische Ausrichtung ist genauso durchschaubar wie auf der anderen Seite des Spektrums.
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Mit Dank an Robert Koehler von Marmot's Hole ein Auszug aus dem Editorial der Hankyoreh vom Freitag:
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"First, he should enact a posture of modesty in governance. We hope he abandons his belief that all he needs to do is simply railroad laws through using the strength of police power or the strength of a parliamentary majority. Second, he must restore democracy. Until the precious values that have been fostered with much difficulty by our society are mercilessly denied, public sentiment will not turn in his favor."
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Mittwoch, 24. Juni 2009

Lupenreine Demokraten

Die Demokratie ist ja tot, wie wir wissen. Es wird einem ja in Korea von jeder Straßenecke entgegengeschrien. Im Zweifelsfalle kann man auch im Parlament älteren Herren zuschauen, wie sie eine Mehrheitsentscheidung des Parlaments behindern, weil Mehrheitsentscheidungen unfair sind. Oppositionspolitiker bereiten sich übrigens gerade auf den Tod vor (!), um die Demokratie zu verteidigen. Dabei sind die einzigen beiden wirklich schweren Verletzungen in der Politikszene der letzten Jahre zwei konservativen Politikerinnen zugefügt worden.
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Jedenfalls halten die Abgeordneten der Minnodang, also der extremen Linken in Korea, eine Mahnwache am Deoksugung ab. Und dort sitzt auch deren Chef, Kang Gi-gap. Also dachte ich mir Mal, gehen wir hin und diskutieren ein wenig. Diskutieren und Argumentieren, das sind ja zwei Grundelemente der Demokratie, möchte man meinen.
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Mit mir meinte er jedoch auch auf mehrmaliges Fragen hin nicht sprechen zu wollen. Dies änderte sich als ich vorgab, dass ich Journalist wäre und für eine ausländische Zeitung über die Proteste schreibe.
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Da wurde Herr Kang dann ganz euphorisch und begann über die Diktatur zu schimpfen, darüber dass es nur in Korea verboten sei, friedlich zu demonstrieren und man überhaupt nicht seine Meinung sagen könne, weil der Präsident undemokratisch sei.
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Daraufhin fragte ich, was wir denn hier gerade machen würden.
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Daraufhin sagte er, dass das was anderes sei, weil er ja Parlamentsmitglied sei (nebenan saßen übrigens einige dutzend Nicht-Parlamentsmitglieder mit ihren Kerzen) und dass man durch das massive Polizeiaufgebot (auf beiden Seiten des Platzes waren es etwa 20 Polizisten) ganz eingeschüchtert sei.
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Ich konnte kaum noch, weil mir bewusst wurde, dass dieser Mann tatsächlich Vorsitzender einer einflussreichen Partei in Korea ist.
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Dann kam er auf Deutschland zu sprechen. In Deutschland dürfen alle Leute demonstrieren, egal, wann und wo.
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Ich erzählte ihm, dass man in Deutschland Demonstrationen anmelden müsse und wenn diese gewalttätig werden, greife auch in Deutschland die Polizei ein. Ich erklärte ihm, was ein "1. Mai in Berlin" ist.
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Er sagte, ich denke mir das aus und ich sei schon ganz eingelullt von der Propaganda Lee Myeong-baks.
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Und dann erzählte er vom Iran. Er verglich den Kampf gegne Lee tatsächlich mit dem gegen Ahmedinedschad. "Aber Ahmedinedschad hat sein Land wenigstens gestärkt, Lee schwächt uns". Und dann konnte ich nicht mehr und ging weg.
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So viel Hirnwäsche geht ja echt nicht mehr.
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Eigentlich wollte ich das ja gar nicht schreiben, aber als ich heute in der Zeitung las wie ein paar Demonstranten der koreanischen Gewerkschaft beim OECD-Gipfel doch sehr unsanft von der Polizei abgeführt wurden, weil sie die Sitzung gestört hatten, da fiel mir das wieder ein.
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Ob die tatsächlich dachten, dass man in Europa jeden Scheiss in jeder Form, jederzeit sagen darf? Wenn das so ist, dann ist Korea tatsächlich keine Demokratie.
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Dienstag, 7. April 2009

First Lady

"First" Lady bekommt im Moment in Korea einen ganz faden Beigeschmack. Heute hat sich Ex-Präsident Roh Moo-hyun wegen Korruption quasi selbst angezeigt. Dass dies nicht unerhebliche Schockwellen selbst durch die krisenerprobte und -gewoehnte koreanische Politikszene schickt, versteht sich von selbst.
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Parks Liste
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Alles dreht sich in Yeouido seit Wochen um die ominöse Park-Yeon-cha-Liste, eine m.W. noch immer fiktive Liste, auf der die Namen von Politikern stehen sollen, die dieser äußerst aktive Geschäftsmann mit jeweils 500.000.000 Won bestochen haben soll. Das interessante ist, dass es hierbei durch alle Parteien und Regionen quer geht. Eine konkrete politische Zielsetzung hatte das ganze nicht, es ging nur um Einflussicherung: Als die Linken an der Regierung waren, gab es Geld für die Linken, als klar war, dass die Linken abgewirtschaftet haben, gab es schließlich Geld für die Konservativen. Neue Talente wie Park Jin, alte Kader aus dem Südosten, die Park Geun-hye nahe stehen sind ebenso betroffen wie Lokalpolitiker aus Jeolla und nun eben die ehemalige First Lady, der bis jetzt größte Fang im Netz der Staatsanwaltschaft.
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Lees Rache?
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Natürlich werden Stimmen laut, dass dies ein politischer Prozeß ist, in dem sich die Lee-Fraktion nun von den innerparteilichen Park-Funktionären und den Schatten der Vorgängerregierung befreien möchte - wieviel daran wahr ist, vermag ich kaum zu bezweifeln, aber wie bei allen Verschwörungstheorien: Wenn es plausibel klingt, dann mag bereits ein Fünkchen Wahrheit dran sein.
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Frau Kwon - Naiv oder einfach nur dreist?
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Die nächsten Tage werden zeigen, wie tief der ehemalige Präsident in die ganze Angelegenheit verstrickt ist.
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Das Eingeständnis jetzt ist bemerkenswert, wobei hier klar unterschieden werden muss: Hat er es getan, weil er gesteckt bekommen hat, dass es eh rauskommen würde oder hat er es getan, weil es ihn ehrlich bewegt hat und er reinen Tisch machen wollte? Ich halte Roh an sich für einen integren bis naiven Mann, der oft das getan hat, was ihm gerade als richtig erschien, egal welche Konsequenzen es hatte. Daher würde ich zweiteres nicht von vorn herein ausschließen wollen.
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Frau Kwon, die First Lady, die nun die erste erste Dame Koreas sein wird, die sich vor der Staatsanwaltschaft zu verantworten hat und eventuell sogar angeklagt wird, die halte ich einfach nur noch für im besten Fall so unglaublich naiv, dass allein das bestraft gehört.
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Mein Mann ist Präsident einer jungen Demokratie; er wurde gewählt als neues Gegenbild zu alten Eliten, als frische Kraft mit Charisma und Integrität. Was mache ich also als First Lady? Ich nehme von einem ominösen Geschäftsmann gleich zwei Mal (!) je 500.000.000 Won privat entgegen. Und das kommt mir dann gar nicht komisch vor? Da sind einfach Mal mehr als eine halbe Million Euro. Nicht, dass die Summe jetzt so wichtig wäre, aber es ist schon ein Unterschied für das Unrechtsbewusstsein, ob mich der Geschäftsmann Mal zu nem Segeltrip auf seine teure Yacht einlädt oder ob er mir ne halbe Million Euro zusteckt.
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Politisches Erdbeben
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Die Reaktionen im politischen Korea schwanken dementsprechend auch noch zwischen ungläubigem Staunen, Ratlosigkeit und der Frage nach dem "warum". Die Linken, insbesondere im Vorfeld der Nachwahlen Ende April, sind fassungslos und geben so gut wie keine Kommentare ab. Keine Verteidigung, keine Verurteilung, einfach nur fassungslose Gesichter. Die Hannaradang, wohlwissend dass Frau Kwon nicht die letzte auf der Liste von Herrn Park war, hat sich auffällig zurückgehalten und nur die Jayuseonjindang war sehr deutlich in ihrer Kritik an Roh.
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Man darf nicht vergessen: Sollte rauskommen, dass Roh während seiner Amtszeit von den Zahlungen gewusst hat, was durchaus wahrscheinlich ist, dann könnte es im krassesten Falle so aussehen, dass sowohl Roh als auch seine Frau schlicht und einfach in den Knast wandern.
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Sicher, mir sind unfähige, bestechliche Ex-Präsidenten immer noch lieber als Ex-Präsidenten, die unfähig, bestechlich und Massenmörder sind - aber gerade gemessen an den hohen Ansprüchen an sich selbst und seine Regierung, die Roh immer propagiert hat, dürfte der jetzige Fall große Auswirkungen auf die Bewertung der gesamten Zeit haben. Spannende Wochen liegen vor uns, übrigens nicht nur wegen Roh selbst.
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Bei den Nachwahlen kandidieren meine Lieblingslinke, die ehemalige Premierministerin Han Myeong-suk und nicht zuletzt will es auch Rohs Chefideologe Jeong Dong-yeong noch einmal versuchen; nachdem ihm die Nominierung der DP verweigert wurde, wahrscheinlich als Unabhängiger - auf beide Rennen könnte die laufende Roh-Affäre immense Auswirkungen haben, sind beide doch zentrale Figuren im System Roh gewesen.
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Freitag, 27. Februar 2009

Auge um Auge?

Also nur damit das Mal klar ist: Es gibt sicherlich keine Politikerin in Korea, die sich provokativer den Anfeindungen ihrer Gegner ausgesetzt hat als Jeon Yeo-ok. Sie ist eine stockkonservative ehemalige Verbuendete Parks und Sprecherin der Hannara in deren Vorsitzendenzeit, hat diese aber fallen lassen als es besser fuer Lee aussah.

Jetzt wurde besagte Jeon Yeo-ok von einer sogenannten NGO angegriffen. Was in zivilisierten Nationen verbal abgeht, fuehrte im Falle Korea dazu, dass 5-6 Mitglieder, provoziert von der Rhetorik Jeons auf sie losgingen und versuchten ihr die Augen auszukratzen, was woertlich zu nehmen ist.

Dabei war die ganze Sache geplant, die Mitglieder kamen irgendwie an den Wachen im Parlamentsgebaeude vorbei und schlugen gezielt auf sie ein. "Dir dreckigen Fotze muessen wir die Augen ausreissen" sollen sie geschrien haben.

Die koreanische Demokratie ist wirklich eigenartig. Wohl die einzige Demokratie der Welt in der Abgeordnete wirklich Angst vor ihren Waehlern haben muessen und nicht andersrum.

Also noch einmal: Frau Jeon ist wirklich die letzte Politikerin Koreas, der ich Erfolg wuensche und jemand, den ich persoenlich verachte. Aber egal was sie fuer Mist von sich gibt: Sie ist gewaehlte Abgeordnete eines Wahlbezirks (Seoul, Yeongdeungpo) und freie Meinungsaeusserung sollte auch von Nicht-Regierungsgruppen akzeptiert werden. Genauso wie von Oppositionsparteien das Mehrheitsprinzip im Parlament. Es sind die grundlegenden ethischen Grundsaetze der Demokratie, an denen es fast allen Beteiligten in der Koreanischen Demokratie fehlt, nicht unbedingt die institutionellen Mechanismen.

Mittwoch, 10. Dezember 2008

Korea - das Griechenland Asiens?!

Man lese diesen Artikel in der heutigen FAZ und ersetze einige geographische Bezeichnungen, Anlässe und Namen - und schwupps hat man die Probleme von Lee und den Neuen in der Hannara, der Linken als Gesamtes und somit des koreanischen Politikbetriebes.